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Autor*innen in der Corona-Krise
Deutschland im Frühjahr 2020 – ein Land zwischen Shutdown und Quarantäne. Und mitten drin Millionen von Menschen, die sich um ihre Zukunft sorgen, eingesperrt in ihren Wohnungen zusammen mit Partnern und Kindern. "Social Distancing" ist plötzlich in aller Munde und das Gebot der Stunde: Zieht euch zurück in die eigenen vier Wände! Da ich nicht zu den Autorinnen gehöre, die in Cafés oder in der Bahn schreiben, ändert sich für mich durch die aktuelle Lage auf den ersten Blick erstmal wenig. Ich sitze an meinem Schreibtisch, wie immer. Draußen scheint die Sonne, während ich Zeile um Zeile in meine Tastatur hämmere.
Wenn man der schreibenden Zunft angehört, ist man es sowieso gewohnt, dass "Wetter" irgendetwas ist, was sich auf der anderen Seite des Fensters abspielt, während man selbst nur am Rande davon mitbekommt. Auch die Ruhe, die plötzlich auf den Straßen und am Himmel herrscht, kommt uns Kreativen gut zu Pass. Die grobe Faustregel: Je besser das Wetter, umso emsiger der Nachbar mit dem … (Hier bitte Motor-betriebenes Werkzeug der Saison einsetzen: Rasenmäher, Laubbläser, Schneefräse …) gilt plötzlich nicht mehr. Diese Stille, herrlich! Endlich mal ohne Gehörschutz-Stöpsel in den Ohren schreiben. Alles könnte so schön sein … Wenn nicht dieses Virus wäre. Denn nicht nur die Wirtschaft ächzt, auch ich als Autorin bin, wie die meisten Kulturschaffenden in diesem Land, direkt von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen.
Absage der Leipziger Buchmesse traf die Aussteller hart
Los ging es für die gesamte Buchbranche mit der Absage der Leipziger Buchmesse. Zusammen mit zwei anderen Autorinnen, meinen lieben Kolleginnen Melanie Reichert und Jennifer Jancke, wollte ich mir einen Stand teilen. Monatelang hatten wir darauf hingearbeitet, der Stand war lange bezahlt, ebenso die eigens angefertigte Messetheke, Standdeko, Plakate, Leseproben, Booklets, Lesezeichen ... mit einem Schlag war alles hinfällig, aber insgeheim waren wir dankbar über die Absage, denn wir haben alle Menschen mit Vorerkrankungen in unserem Umfeld und wie schlimm die Corona-Pandemie noch werden sollte, wusste zu dem Zeitpunkt niemand. Deshalb gehörten wir zwar nicht zum Kreis derer, die über die Absage laut klagten, aber trotzdem blieben wir auf unseren Kosten sitzen. Immerhin kündigte die Leipziger Messe an, die Standgebühren komplett zu erstatten, unsere Erstattung steht aber Stand heute (30.03.20) noch aus.
Viel schwerer als die angefallenen Kosten wiegt aber ein anderer Punkt: Die beiden großen Messen Leipzig und Frankfurt sind der Ort, an dem Neuerscheinungen vorgestellt werden, an denen Autoren sich und ihre Bücher präsentieren, aus ihren Werken lesen und mit Lesern, Bloggern und Medien in Kontakt kommen – und ja, auch Bücher verkaufen. Die gesamte "Leistungsschau", wie es über andere Messen immer heißt, fiel dieses Mal für die komplette Buchbranche flach.
[UPDATE 31.03.20: Inzwischen wurde bekannt, dass auch die BuchBerlin, die drittgrößte deutsche Buchmesse, die jedes Jahr im November stattfindet, abgesagt worden ist. Allerdings nicht aufgrund des Versammlungsverbots, sondern aufgrund mangelnder Buchungen. Scheinbar sind viele Verlage und Autoren vorsichtig geworden, was die Teilnahme an Messen dieses Jahr betrifft. Somit entfällt ein weiterer Termin, um mit den Leser*innen in Kontakt zu kommen.]
Im Laufe der folgenden Tage wurde eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt, etliche Kollegen beklagen Verdienstausfälle durch entgangene Lesungshonorare.
Außerdem haben inzwischen etliche Verlage angekündigt, ihre für das Frühjahr angekündigten Neuerscheinungen auf den Herbst zu verschieben, weshalb sich Vorschuss- und Tantiemenzahlungen verschieben. Ob und wann die Titel erscheinen bzw. was mit den Titeln des Herbstprogramms wird, ist ungewiss.
Wohl dem, der seine Bücher selbst veröffentlicht? Mitnichten ...
Situation für Autoren und Selfpublisher hat sich verschlechtert
Jetzt, da das ganze Land zu Hause sitzt, sollte man annehmen, dass wieder viel mehr Menschen Zeit zum Lesen haben. Im Prinzip richtig, aber da sämtliche Buchhandlungen geschlossen sind, die nun wiederum verzweifelt versuchen, ihre Geschäfte ins Internet zu verlagern und ihre Kunden teilweise zu Fuß oder mit dem Fahrrad beliefern, ist der Flaschenhals vom Autor zum Leser noch mal deutlich schmaler geworden.
Spätestens als Amazon letzte Woche verkündete, die Bestellung und Auslieferung gedruckter Bücher zugunsten von stärker nachgefragten Artikeln wie Nudeln und Toilettenpapier vorerst einzustellen, war klar, dass es jetzt auch für Autoren und Verlage ums nackte Überleben geht.
Bleiben ja noch die eBooks. Aber auch da sehen die Verkaufszahlen düster aus. Viele Autoren verschenken derzeit ihre E Books gratis, um einen Beitrag gegen die Corona-Langeweile zu leisten und schaden damit im Endeffekt den Verkäufen aller anderen eBooks, die gerade nicht verschenkt werden, im Zweifel auch den eigenen.
Auch die Angebote vieler Bibliotheken und Stadtbüchereien, die gerade kostenlose Büchereiausweise anbieten, damit man die Onleihe von zu Hause aus nutzen und eBooks lesen kann, schaden damit, unfreiwillig und ohne es zu ahnen, uns Autoren und vor allem den Selfpublishern. Denn die wenigstens deutschen Selfpublisher dürften in der Onleihe vertreten sein und wie die Verlagsautoren an den Ausschüttungen der VG Wort teilhaben, ist je nach Verlag unterschiedlich vertraglich geregelt.
Bleibt also für Selfpublisher nur noch Kindle Unlimited, oder?
Letzter Ausweg KU?
Stellt KU also den letzten Ausweg dar, um überhaupt noch etwas mit seinen eBooks zu verdienen, in dem man sich exklusiv für drei Monate an Amazon bindet und seine eBooks für Kindle Unlimited, Amazons eBook-Flatrate, verfügbar macht?
Man könnte es glauben, denn in den letzten Tagen hört man aus Autorenkreisen, dass zunehmend auch Verlage ihre Bücher in KU einstellen. Dabei waren die Verlage ja immer daran interessiert, möglichst breit aufgestellt zu sein und außerdem hat niemand die eBooks für Tolino abgeschaltet, die sind von Amazons aktueller Strategie überhaupt nicht betroffen.
Warum also die Abkehr vom breiten Handel? Nun, anscheinend erhoffen sich die Verlage, die gerade in der derzeitigen Situation so agieren, ihre eigenen Verluste durch geschlossene Buchhandlungen durch die gelesenen Seiten bei KU auszugleichen bzw. abzumildern. Dadurch lassen sie ihre langjährigen Partner im Buchhandel eiskalt hängen und wildern im angetrauten Revier der Selfpublisher, die dadurch im Rang abrutschen und wiederum an Sichtbarkeit verlieren.
Kurz: Die gesamte Buchbranche befindet sich in Aufruhr und im Umbruch. Alte Regeln werden über den Haufen geworfen und gelten von einem Tag auf den anderen nichts mehr, Verlage konkurrieren plötzlich mit Selfpublishern um die Sichtbarkeit durch KU und die Zeche werden die Verlagsautor*innen bezahlen, in denen die Tantiemenzahlung im Falle KU meist gar nicht geregelt ist und die ihre Tantiemen dann auf wesentlich geringere Beträge erhalten.
Nein, als Autor*in hat man es derzeit wirklich nicht leicht, egal ob beim Verlag oder im Selfpublishing ...
Welche Möglichkeiten bleiben für Autoren und Selfpublisher?
Viele Autoren, darunter auch ich, sind dazu übergegangen, ihre gedruckten Bücher direkt zu versenden, um überhaupt noch etwas zu verkaufen. Davon mal ab, die Centbeträge, die Autoren pro Buch verdienen, waren schon vorher nicht gerade üppig. Reich wird man damit jedenfalls nicht, bzw. nur die Wenigsten.
Auch die Corona-Soforthilfen des Bundes und der Länder stehen vielen Autoren nicht zur Verfügung. Entweder, weil viele Autor*innen, genau wie ich, einem "Brotjob" nachgehen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und auf die freie Nebentätigkeit keine Hilfen beantragen können. Oder weil die Hürden je nach Bundesland für Künstler so hoch sind, dass viele schon von selbst entnervt abwinken. Andere Bundesländer werfen ihren Künstlern ein Almosen von 300 Euro Soforthilfe hin. Das fällt dann wohl in die Kategorie "Zu wenig zum Leben, zum Sterben zu viel" und zeigt, wie es mit der Wertschätzung um die freischaffenden Künste bestellt ist.
Doch trotzdem schreiben wir. Denn im Grunde geht es uns nicht ums Geld, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen. Deshalb haben sich in den letzten Wochen viele Autorinnen und Autoren hingesetzt und Lesungen aufgezeichnet oder live im Internet gelesen. Denn das ist es, was wir in dieser Situation tun können, um unseren Beitrag zu leisten und zumindest ein bisschen Sichtbarkeit zu bekommen: Wir sind angetreten, um die Menschen mit unseren Geschichten zu unterhalten, sie für eine Weile aus dem Alltag zu entführen und sie mitzunehmen, auf eine kleine Reise im Kopf. Denn wie sagte schon Jean Paul: "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben, über die Sterne."
Und das kann uns selbst ein Virus nicht nehmen.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen lasst uns weiter schreiben: Gegen die Existenzangst, gegen die Corona-Langeweile und hoffentlich FÜR eine Zukunft, in der wir wieder Geld mit unseren Büchern verdienen.
Bleibt gesund und zu Hause! <3
Eure
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Kommentar von Katharina Münz |
Tja, so unterschiedlich ist die Wahrnehmung der Coronakrise bei Autoren.
Auch ich hatte einen Messestand in Leipzig mit 3 anderen Autorinnen gebucht und vorbereitet.
Aber statt über den Buchmarkt mache ich mir aktuell darüber Gedanken, wie ich dazu beitragen kann, die Folgen der Viruskrise für alle abzumildern.
Erst habe ich Mundschutzmasken für Familie und Freunde genäht, dann ein Anleitungs-EBook erstellt mit Illustrationen, das ich jetzt auf meiner Webseite verschenke.
Link im entsprechenden Kommentarfeld.
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